Kunst aus der Glasnost-Zeit
Vom 30. Oktober 2016 bis 26. Februar 2017 präsentiert die Villa Schöningen rund 50 Werke von sowjetischen systemkritischen Künstlern in ihrer Ausstellung „Kunst aus der Glasnost-Zeit“ – darunter Arbeiten von Maxim Kantor, Lew Iljitsch Tabenkin und Leonid Purygin. Alle Werke gehören zur Sammlung der Kunsthalle Emden und werden erstmals im Berliner Raum gezeigt.
Eine der ersten Ausstellungen in der 1986 vom STERN-Gründer Henri Nannen begründeten Kunsthalle Emden war Die neue Freiheit der sowjetischen Maler (1987/88). Als eines der ersten westlichen Museen überhaupt hatte die Kunsthalle damals junge, zumeist kritische Künstler präsentiert, von deren Existenz bis zur Öffnung der Sowjetunion – in der Zeit von Glasnost und Perestrojka – die westliche Kunstszene nichts ahnte. Die damals gezeigten Arbeiten werden nun anlässlich des 30. Jubiläums der Kunsthalle Emden vor den Toren der Hauptstadt in der Villa Schöningen gezeigt. Darunter Arbeiten der Künstler Maxim Kantor, Leonid Purygin, Lew Iljitsch Tabenkin oder Alexej Sundukow.
Mit dieser Präsentation verbildlicht das Ausstellungshaus an der Glienicker Brücke seinen sich durch das gesamte Ausstellungsprogramm ziehenden freiheitlichen Grundgedanken auf besonders eindrückliche Weise.
Den Kern der Ausstellung bilden Arbeiten von Maxim Kantor. Er schildert in seinen Werken extreme Lebenssituationen, sei es im Straflager, in der Psychiatrie oder allgemein in einem von Mangel geprägten Alltag der ehemaligen Sowjetunion. Mit seiner Kunst bezieht er Stellung und verleiht den Betroffenen eine Stimme. Dazu wählt der Künstler dem Expressionismus verwandte bildnerische Mittel. Wartende, fast apathisch wirkende Gestalten charakterisieren die Bilder von Lew Iljitsch Tabenkin; sie stehen in krassem Gegensatz zu den dogmatisch idealisierten Darstellungen von Bauern und Arbeitern in der Malerei des Sozialistischen Realismus. In der Sammlung vertreten sind aber auch Künstler wie Leonid Purygin, dessen farbenfrohe und kleinformatige Gemälde auf die Tradition der russischen Ikonenmalerei verweisen.
Ausstellungskonzeption:
Katharina Henkel, Kunsthalle Emden, mit Nora Jaeger.
Die Vorgeschichte:
Als Journalist hatte Henri Nannen früh die Sowjetunion bereist: Schon 1955 begleitete er den damaligen Bundeskanzler und gleichzeitigen Außenminister Konrad Adenauer zu einem Friedenstreffen mit Parteichef Nikita Chruschtschow nach Russland. Bei diesen Besuchen gehörten zwar Besichtigungen bedeutender staatlicher Museen zum kulturellen Rahmenprogramm, jedoch interessierten den kunstbegeisterten Henri Nannen die ausgestellten Werke des von der Regierung propagierten Sozialistischen Realismus kaum. Diese Einstellung gegenüber zeitgenössischen Arbeiten russischer Künstler änderte sich Anfang der 1980er Jahre, als Nannen in die Residenz des damaligen deutschen Botschafters von Moskau eingeladen wurde und dort ein bemerkenswert sozialkritisches Bild zu sehen bekam: mit ihm wurde seine Begeisterung für zeitgenössische, nonkonformistische Kunst geweckt. Daraufhin initiierte er eine Ausstellung, die durch Westdeutschland reiste, und erwarb erste Werke – die Grundlage für ein neues, in der BRD noch unbekanntes Sammlungsthema.
Ab 1986 streifte Henri Nannen auf eigene Initiative durch Ateliers in Moskau und Leningrad/St. Petersburg und entdeckte dabei Kunstwerke, die eine kritische Auseinandersetzung junger Künstler mit den nationalen Veränderungen und Missständen verbildlichten. Ergebnis war jene frühe Ausstellung der Kunsthalle Emden mit Bildern schonungsloser Direktheit.